ORGANISATION & KOMMUNIKATION

Interkulturelles Wissen: Die Basis einer gelungenen Kommunikation am Bau

Text: M. Hübler| Foto (Header): © pressmaster– stock.adobe.com

Kulturelle Vielfalt ist ein großer Bestandteil des alltäglichen Lebens, und verschiedenste Kulturkreise treffen in den unterschiedlichsten Situationen aufeinander. Vor allem auf der Baustelle müssen verschiedenste Gewerke in stressigen Situationen in enger Abstimmung zusammenarbeiten. Klar, dass hier nicht nur aufgrund von möglichen sprachlichen Barrieren Reibungen entstehen können. Die unterschiedliche Sprache und der Stress sind noch die kleinsten Problematiken. Warum interkulturelles Wissen ebenso eine wichtige Rolle in einer gelungenen Kommunikation spielt, erfahren Sie in diesem Artikel.

Auszug aus:

Der Bauleiter
Ausgabe Juli 2023
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Interkulturalität als Kommunikationserschwernis

Am Bau treffen viele verschiedene Kulturen aufeinander. Dies kann schnell zu Sprachbarrieren und Missverständnissen führen. Der erste Impuls besteht meist darin, sich sprachlich darauf einzustellen, z. B. mithilfe einer Übersetzungssoftware. Ebenso wird versucht, sich zumindest die gängigen Begriffe in der fremden Sprache anzueignen. Tatsächlich können diese Lösungen sowohl aus Respektgründen als auch praktisch helfen, sich besser zu verständigen. Dennoch bleibt häufig eine Verständnislücke, die sich weniger leicht schließen lässt. Und die besteht in unterschiedlichen kulturellen Werten, insbesondere was den Umgang mit Führung, Maskulinität, Sicherheit und Individualität angeht. Diese kulturellen Aspekte bezeichnet der niederländische Kulturwissenschaftler und Sozialpsychologe Geert Hofstede als wesentliche Kulturdimensionen zum Verständnis anderer Kulturen.

Vier Kulturdimensionen für ein besseres Verständnis am Arbeitsplatz

Umgang mit Macht und Hierarchien
Unterschiedliche Länder, Kulturen oder auch Branchen gehen unterschiedlich mit Macht um. Manche akzeptieren klare Hierarchien als gegeben und ordnen sich entsprechend unter. Andere fordern eine Führung auf Augenhöhe ein. Für Deutschland, die USA, Großbritannien oder skandinavische Länder ist eine Führung auf Augenhöhe üblicher als in den meisten asiatischen, afrikanischen, osteuropäischen und lateinamerikanischen Ländern sowie in Italien, Spanien, Belgien oder Frankreich.

Treffen nun Vertreter der einen Machtkultur auf eine andere, treffen gleichzeitig unterschiedliche Wertehaltungen aufeinander. Während die einen von einer Gleichheit zwischen den Mitarbeitern, einer dezentralen Organisation, einer umfassenden Verantwortungsteilung und wenig emotionaler Distanz zwischen der Leitungsperson und den Mitarbeitern ausgehen, denken die anderen in starren Hierarchien und Strukturen, erwarten eine straffe und zentral geführte Organisation mit klarer Befehlslinie und einen eher dominanten Führungsstil.

Dies kann zu weitreichenden Missverständnissen führen, die weit über das Sprachliche hinausgehen. Konkret: Kommt ein Mitarbeiter aus einer Dominanzkultur, könnte es passieren, dass er einen modern führenden Bauleiter nicht ernst nimmt. Ebenso kann es passieren, dass Mitarbeiter aus Dominanzkulturen mit einer geteilten Verantwortung schlichtweg überfordert sind.


Maskulinität vs. Femininität

Eng verbunden mit Macht ist die Dimension der Maskulinität als wohl schwierigste der vier Kulturdimensionen. Da die Untersuchungen von Hofstede schon über 20 Jahre alt sind, hat sich hier am meisten verändert. Mittlerweile hat sich der Anteil an weiblichen Führungskräften in Deutschland, aber auch international stark erhöht. Gleichzeitig wird Maskulinität jedoch gerade in Ost- oder Südeuropa, bspw. Russland, immer noch großgeschrieben.

Maskulinität ist jedoch nach Hofstede nicht nur eine Frage der Dominanz des männlichen Geschlechts im Berufsalltag, sondern auch danach, wie wichtig materielle Güter sind. Demnach ist die Exportnation Deutschland in der Kombination mit dem Talent der deutschen Industrie für Systeme und Präzision nach wie vor ein eher maskulines Land. Auch der sog. „gender pay gap“, d.h. die Lücke im Verdienst zwischen Mann und Frau, ist immer noch nicht überwunden. Hofstede bezeichnet eine Gesellschaft als maskulin, wenn die Geschlechterrollen klar abgegrenzt sind, Männer eher Entscheidungen treffen und materiell orientiert sind, während Frauen bescheidener auftreten sollten, sensibler sind und neben der Arbeit auch dem Privaten einen hohen Wert beimessen. Je mehr sich Geschlechterrollen überschneiden, bspw. durch „Girls Days“ oder Väter in der Kinderbetreuung, desto femininer sind Gesellschaften.

Hier kann sich gerade im Bauwesen ein starker Unterschied zeigen zwischen einem deutschen Bauteam, der auch seinen Familieninteressen nachkommen möchte, und einem Bauteam bspw. aus Osteuropa, das seine Familie nur selten zu Gesicht bekommt.


Umgang mit Unsicherheit
Während Mitarbeiter aus einer unsicheren Kultur Unsicherheit als Bedrohung empfinden und Veränderungen eher ablehnen, gelten in risikofreudigeren Kulturen Unsicherheiten, Risiken und ein mögliches Scheitern als Normalität. Dieses Denken wirkt sich darauf aus, inwieweit sich Geschäftspartner und Teamkollegen durch ungewisse und unbekannte Veränderungen bedroht fühlen oder Eigeninitiative ergreifen. Die einen klammern sich an Regeln und Strategien zur Vermeidung von Unsicherheit, brauchen klare Zeitpläne und Pflichtenhefte. Die anderen gehen höhere Risiken ein, gehen lockerer mit potenziellen Fehlern um und versuchen eher, aus Fehlern zu lernen.

Was den Umgang mit Unsicherheit angeht, liegen Deutschland, Österreich und die Schweiz im Mittelfeld, während lateinamerikanische Länder, Mittelmeerländer wie Portugal oder Griechenland, aber auch Polen, Russland oder Balkan-Staaten als eher risikovermeidend und asiatische Länder wie Japan, China, Singapur oder Korea sowie nordische Länder wie bspw. Dänemark eher als risikofreudig gelten.

Aufgrund der zunehmenden Disruptivität und damit einhergehend einer erzwungenen Agilität auch im Baubereich durch unterbrochene Lieferketten, Verteuerungen oder einer zwangsweisen Umstellung auf umweltfreundlichere Bauweisen und Anlagen muss im Bauwesen immer schneller auf Änderungen reagiert werden. Der erste Impuls könnte nun in Richtung Sicherheitsdenken gehen. Auf schnelle Veränderungen muss ich jedoch meist schnell reagieren, ohne alle möglichen Konsequenzen bedenken zu können. Dies erfordert folglich zumindest eine risikobewusste Herangehensweise.


Individualität vs. Kollektivität

In individualistischen Gesellschaften stehen die Identität einer Person und deren Bedürfnisse im Mittelpunkt, während in kollektivistischen Kulturen die Gruppe wichtiger ist. Folglich ordnen sich kollektivistische Kulturen einer Leitung eher unter, während in individuellen Kulturen mehr diskutiert wird und auch persönliche Emotionalität eine größere Rolle spielt.

In individuellen Kulturen ist es wichtig, dass neben der Arbeit genügend persönliche Zeit zur Verfügung steht, die Arbeit nach eigenen Vorstellungen ausgeführt werden kann und zu erfüllende Aufgaben das Gefühl vermitteln, etwas erreicht zu haben und sich weiterentwickeln zu können. In individualistischen Kulturen werden Meinungen offen geäußert und Konflikte offen diskutiert. Damit geht auch die Erwartung von Führungskräften einher, eigenverantwortlich nach Lösungen für Probleme zu suchen.

In kollektivistischen Kulturen sind hingegen Harmonie und Loyalität oberste Ziele. Teamziele sind wichtiger als persönliche Ziele, weshalb eigene Meinungen eher nicht geäußert werden, um keine Konflikte heraufzubeschwören. Auch das Wörtchen „Nein“ ist entsprechend seltener zu hören.

Angelsächsische Länder, Deutschland, Dänemark oder Schweden sind weitgehend individuelle Kulturen, während Russland, osteuropäische Länder, Balkan-Staaten und teilweise auch südeuropäische Länder kollektivistischer sind. In südeuropäischen Ländern ist bspw. das System der Familie noch wichtiger als in Deutschland, wodurch automatisch auch eine Unterordnung unter ein Kollektiv eine höhere Bedeutung hat.

Fazit

Die vier Kulturdimensionen bieten einen guten Ansatz, Sprachbarrieren, die eventuell weniger sprachlicher, sondern kultureller Natur sind, zu überwinden:

  • Macht und Führung:
    So kann es durchaus sein, dass ein Mitarbeiter aus einer anderen Kultur mit einer anderen Vorstellung davon eine Anweisung nicht befolgt, weil sein Bauleiter in seinen Augen schwach ist.
  • Maskuliner Kulturhintergrund:
    Oder ein Mitarbeiter mit einem eher maskulinen Kulturhintergrund versteht nicht, warum sich ein anderer Mitarbeiter um seine kranke Tochter kümmern will.
  • Kollektivistische Einstellung:
    Oder ein Mitarbeiter mit einer kollektivistischen Einstellung wird nach seiner Meinung gefragt und äußert diese nicht, weil er keinen Konflikt heraufbeschwören will. Die fehlende Äußerung liegt in diesem Fall also nicht an einer fehlenden Sprachkompetenz – auch wenn diese zusätzlich dazu kommen kann –, sondern an einer anderen kulturellen Prägung.
  • Unsichere Kultur:
    Oder aber Mitarbeiter aus einer eher unsicheren Kultur arbeiten am liebsten mit klaren Regeln, Zeitplänen und Ansagen, während die deutschen Kollegen zumindest teilweise gerne spontan sind und im Sinne einer höheren Agilität von Fall zu Fall entscheiden.

Neben diesen Kulturdimensionen ist es jedoch wichtig, dass Prägungen niemals einseitig sind und es daher immer Ausnahmen gibt, insbesondere, weil sich die Studien von Hofstede auch durchaus kritisch betrachten lassen.

Es ist also hilfreich, die Kulturdimensionen zu kennen, um vermeintlich sprachlichen Missverständnissen auf den Grund zu gehen und sich entsprechend auf Mitarbeiter aus anderen Kulturen einzustellen, insbesondere, wenn diese in Gruppen auftreten. Dennoch gibt es auch typische Branchenkulturen sowie individuelle Prägungen, aus denen persönliche Bedürfnisse und Herangehensweisen entstehen.

Die Branchenkultur bei Amazon ist bspw. komplett anders als die Branchenkultur bei Google oder Apple. Und auch im Baubereich gibt es unterschiedliche Sparten mit verschiedenen Denkweisen. Anders formuliert: Ein Architekt denkt i. d. R. anders als ein Projektleiter und dieser wiederum anders als ein Bauarbeiter. In der Praxis sollten wir daher nicht vergessen, dass es immer auch individuelle Abweichungen gibt.

Literatur

Geert Hofstede u. a.: Lokales Denken, globales Handeln: Interkulturelle Zusammenarbeit und globales Management (dtv Beck), 2017

Vgl. Maya Gilyanska: Ost-West-Unterschiede in wirtschaftsrelevanten Teilgebieten der Persönlichkeit, S. 20, 21 http://webdoc.sub.gwdg.de/ebook/dissts/Bochum/Gulyanska2005.pdf

Vgl. Maomao Lin: Relevanz der Kommunikation in internationalen Projekten am Beispiel Chinas, S. 17 ff. und S. 21 f., https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/309787/full.pdf

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