BAUTECHNIK

Schallschutz im Wohnungsbau mit vorgehängten hinterlüfteten Fassaden

Text: Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) R. Winterfeld, MBM | Foto (Header): © EQUITONE/Dietmar Strauß, Besigheim

Um möglichst ressourcenschonend zu bauen und nicht immer mehr Fläche zu versiegeln, muss der Wohnraum in Städten weiter verdichtet werden. Durch diese notwendige Entwicklung kommt es für weite Teile der Bevölkerung allerdings zu einer zunehmenden Lärmbelastung und damit zu einer wachsenden Bedeutung des Schallschutzes in Gebäuden. Eine effektive und effiziente Lösung zur Verbesserung des Schallschutzes in Wohngebäuden ist die vorgehängte hinterlüftete Fassade (VHF).

Auszug aus:

Der Bauleiter
Ausgabe Februar 2023
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Bereits heute liegt der vom Straßenverkehr erzeugte Lärmpegel in Ballungsräumen deutlich über dem von der WHO empfohlenen Maximum. Da eine hohe Lärmbelastung die Gesundheit beeinträchtigen und zu einer erhöhten Unfallgefahr führen kann, ist das ein ernst zu nehmendes gesellschaftliches Problem. Daher bedeutet ein guter Schallschutz nicht nur eine verbesserte Lebensqualität – er schützt auch vor gesundheitlichen Risiken. Um die Bevölkerung in Wohn- und Arbeitsräumen vor „unzumutbaren Belästigungen“ durch Schallübertragung zu schützen, müssen Gebäude einen Schallschutz aufweisen, der ihrer Nutzung entspricht. Die Anforderungen an den Schallschutz werden von der DIN 4109 „Schallschutz im Hochbau“ vorgegeben, ergänzt durch die FVHFLeitlinie „VHF Schall“.

Durch ihre spezielle Bauart verfügt die vorgehängte hinterlüftete Fassade über Eigenschaften, die maßgeblich zum Lärmschutz beitragen: Eine VHF kann den Schalldämmwert um bis zu 18 dB verbessern. Darüber hinaus sorgt die VHF mit ihrem guten Witterungs- und Wärmeschutz für mehr Energieeffizienz von Wohngebäuden und trägt damit sowohl maßgeblich zum Klimaschutz als auch zum Wohnkomfort bei. Die Komponenten Dämmung und Bekleidung sind bei der VHF konstruktiv voneinander getrennt. Der Hinterlüftungsraum zwischen den Komponenten regelt den Feuchtehaushalt im Baukörper, indem Bau- und Nutzungsfeuchte durch den Luftstrom zuverlässig abgeführt werden. So können feuchte Aussenwände in kürzester Zeit trocknen, was ein optimales Innenraumklima gewährleistet. Daher kommen sowohl beim Neubau als auch bei der energetischen Sanierung des Bestands immer häufiger vorgehängte hinterlüftete Fassaden zum Einsatz.

Neben ihrem hervorragenden Schallschutz und den guten Dämmwerten punkten die robusten VHF-Konstruktionen auch mit Langlebigkeit und können in vielen Fällen sogar wiederverwendet werden. Das macht die VHF zu einer besonders nachhaltigen Lösung. Nicht zuletzt wertet die VHF ein Gebäude auch ästhetisch auf, denn sie ermöglicht durch die Variantenvielfalt von Oberflächen, Farben, Formaten und Fugenanordnungen eine freie Fassadengestaltung, die sich ganz nach den Vorstellungen der Bauherren und Planenden richten kann.

 

Wie funktioniert Schallschutz mit der VHF?

Die vorgehängte hinterlüftete Fassade zeichnet sich im Wesentlichen durch die trennende Luftschicht – dem Hinterlüftungsraum – zwischen gedämmter oder ungedämmter Außenwand und der Bekleidung – dem Witterungsschutz – aus. Das zweischichtige System der vorgehängten hinterlüfteten Fassade trennt die Funktionen Witterungsschutz und Dämmung. Dieser zweischalige Aufbau reduziert den Schall durch ein günstiges Masse-Feder-Masse-Prinzip, das sich durch das Zusammenwirken der Bekleidung mit Hinterlüftungsraum, Unterkonstruktion und mineralischer Wärmedämmung bildet. Durch die Kombination zweier Schalen mit sehr unterschiedlichen Massen und einem großen Abstand verschiebt sich die Resonanzfrequenz hin zu tieferen Frequenzen, die außerhalb des bauakustisch relevanten Bereichs liegen.

Bei der Schalldämmung massiver Außenwände mit der VHF kann jede einzelne Komponente der VHF die schalltechnische Wirkung positiv beeinflussen – ob Verankerungsgrund, Unterkonstruktion, Dämmung, Hinterlüftungsraum oder Bekleidung. Da auch die Befestigung und der Fugenanteil beim Schallschutz eine Rolle spielen, sollte bei der Planung auch die Wahl dieser Bauteile bedacht werden.

 

Verbesserte Schalldämmung durch VHF

Die Schalldämmwerte von Fassaden mit VHF sind besser als die Schalldämmwerte der meisten gängigen Außenwandkonstruktionen ohne VHF und können zwischen 12 und 18 dB betragen. Eine Senkung des Schalldruckpegels von 10 dB entspricht bereits einer Halbierung der wahrgenommenen Lautstärke im Innenraum, was zu einer deutlichen Verbesserung des Komforts in Wohngebäuden führt.

Messungen der ita Ingenieurgesellschaft für Technische Akustik mbH Beratende Ingenieure VBI ergaben, dass sich bei einem Schalenabstand von 240 mm (60 mm Hinterlüftung plus 180 mm Wärmedämmung) mit üblichen Bekleidungselementen eine positive Wirkung im bauakustisch relevanten tieffrequenten Messbereich zeigt. Geprüft wurde neben der Referenzmessung der unbekleideten Außenwand auch die Schalldämmung der VHF mit verschiedenen Bekleidungen, darunter Aluminium-Verbundplatten, Aluminium-Vollbleche, Faserzement-Platten, Glas-Verbundplatten, Feinsteinzeug-Platten, Keramik/Ziegel-Platten und Putzträger-Plattensysteme.

 

Komponenten und Montage der VHF

Für die Bekleidung von Fassaden ist ein vielfältiges Spektrum an Werkstoffen verfügbar – von Keramik, Glas, Naturwerksteinen und Holz über Faserzement, Harzkomposit- und HPL-Platten bis hin zu Metallen wie Kupfer und Aluminium oder Trägerplatten für Putz, Klinker oder Photovoltaikpaneele. All diese Werkstoffe lassen sich als VHF auf Metall- und Holzunterkonstruktionen montieren. Durch die konstruktive Trennung der verschiedenen Schichten können die Komponenten auf spezifische Eigenschaften hin optimiert werden. Um die besten technischen Werte zu erzielen, ist aber vor allem die korrekte Ausführung wichtig. Dabei müssen neben der Qualität und der sachgemäßen baurechtlichen Verwendung der einzelnen Komponenten auch wichtige Anforderungen an die Standsicherheit, den Brandschutz und den Schall- oder Blitzschutz beachtet werden.

Ein entscheidendes Kriterium für die zulässigen Lasteinwirkungen durch die Bekleidung, den Aufbau der Unterkonstruktion und die Auswahl der richtigen Verankerungselemente ist die Art und Beschaffenheit des Verankerungsgrunds. Zu den üblichen Verankerungsgründen gehören Beton, Mauerwerk aus Vollsteinen, Lochsteinen oder Porenbeton sowie Wandplatten, Holztragwerk und Stahltragwerk.

Als Bindeglied zwischen Außenwand und Fassadenbekleidung fungiert die Unterkonstruktion, für die in der Regel Materialien wie Aluminium, feuerverzinkter oder nicht rostender Stahl, Holz oder Kombinationen aus Holz und Metall verwendet werden. Aluminium- Unterkonstruktionen bieten dabei den Vorteil, dass sie dreidimensional justierbar sind und sich zwängungsfrei um den Baukörper legen. Unebenheiten und Wandversprünge lassen sich damit optimal zu einer Lot- und Waagerechten ausgleichen.

Die Befestigung der Bekleidung an der Unterkonstruktion verbindet die Systemkomponenten und überträgt alle Lasten. Wichtig ist der Einsatz eines dafür bauaufsichtlich zugelassenen Fassadendübels, dessen Beschaffenheit vom Untergrund abhängt. Übliche Verankerungselemente sind Rahmen-/Langschaftdübel (Kunststoffdübel und zugehörige Spezialschrauben), die in Durchsteckmontage verankert werden.

 

Drei FVHF-Leitlinien zur VHF

Die konkreten Messergebnisse für die verschiedenen Bekleidungsmaterialien und andere für die Schallreduktion relevante Faktoren sind in der FVHF-Leitlinie „VHF Schall“ dokumentiert. Ein praxisorientierter Handlungsleitfaden, der die Grundsätze und Mindestanforderungen für dauerhafte und standsichere vorgehängte hinterlüftete Außenwandbekleidungen festlegt, ist die FVHF-Leitlinie „VHF Planung und Ausführung“. Die FVHF-Leitlinie „Beurteilungsmethodik und Toleranzen von Vorgehängten Hinterlüfteten Fassaden (VHF)“ beschreibt, wie sich die Qualität einer VHF beurteilen lässt und welche Toleranzen zulässig sind. Der Handlungsleitfaden versorgt Bauherren, Planer und Verarbeiter mit wertvollen Hilfestellungen zur Abnahme einer VHF.

 

VHF in der Praxis: Referenzprojekte

Ein ehemaliges Eisenbahnerhaus von 1970 in der Nähe des Pforzheimer Hauptbahnhofs musste dringend grundsaniert werden, vor allem aufgrund seines hohen Energieverbrauchs. Wegen der Lage an den Bahngleisen sollte außerdem die Lärmbelastung reduziert werden. Das Architekturbüro Freivogel Architekten in Ludwigsburg hat bei der Sanierung ein innovatives Energiekonzept umgesetzt und ein harmonisches Gebäude mit einer vorgelagerten Loggia- Zone geschaffen, deren anthrazitfarbene Faserzementtafeln einen reizvollen Kontrast zur hellen Fassade bilden.

Das Projekt schaffte es in die Schlussrunde der drei Finalisten des DGNB Preises „Nachhaltiges Bauen“ und wurde von der Jury des Deutschen Architekturpreises 2015 ausgezeichnet. Da der Entwurf Fördergelder des Programms der Deutschen Energie- Agentur (dena) „zukunft haus“ erhielt, konnte das Gebäude zum Nullenergiehaus umgebaut werden.

 

Energieeffiziente Gebäudehülle mit Schallschutz

Der Wohnturm wurde mit einer 28 cm starken Dämmschicht aus Mineralwolle und einer Fertigteilfassade aus hellen Beton-Elementen energetisch saniert. Optisch sorgt die anthrazitfarbene Fassadentafel für kräftige Akzente, die als vorgehängte hinterlüftete Fassade mit farblich abgestimmten Nieten auf eine Unterkonstruktion aus Metall montiert wurde. Die Faserzementtafeln mit den Maßen 3.100 x 1.500 mm erzeugen ein ruhiges Erscheinungsbild mit nur wenigen Fugen.

Mit den dunklen Fensterrahmen im gleichen Farbton und den nach hinten versetzten Glasbrüstungen akzentuieren die Tafeln die Tiefe der Lochfassade. Großzügige Loggien aus Betonfertigteilen, die wie ein Regal vor das bestehende Gebäude gestellt wurden, ersetzen die früheren Einzelbalkone. Die vorgehängte hinterlüftete Fassade senkt die Lärmbelastung im sanierten Hochhaus deutlich und führt zu einer verbesserten Aufenthaltsqualität – auch in den Loggien. Die Aufstockung um ein Geschoss bildet einen eleganten Abschluss und verbessert zugleich die Proportionen des Gebäudes.

Das Sanierungsprojekt in Pforzheim zeigt in überzeugender Weise, wie eine zeitgemäße Verbindung von alter Bausubstanz mit neuen ästhetischen und energetischen Ansprüchen gelingen kann.

 

Eine Keramikhülle als Blickfang in Wien

In der Nähe des Praters und der denkmalgeschützten Trabrennbahn Krieau ergänzte der Architekt Martin Kohlbauer das Stadtentwicklungsprojekt Viertel Zwei in Wien um das neue Wohn- und Geschäftshaus Korso. Der Gebäudekomplex sollte harmonisch mit der historischen Umgebung verbunden werden, weil zu ihm zwei denkmalgeschützte Kopfbauten eines Stalls und eines Werkstattgebäudes des Trabrennvereins gehören.

Korso wirkt durch seine feine Gliederung, die asymmetrische Grundfläche und die Höhenstaffelung trotz seines großen Volumens überraschend leicht. Das transparent gestaltete Erdgeschoss bietet Platz für eine 4.500 m² große Gewerbefläche im neuen Stadtquartier. Um zwei zentrale Erschließungskerne gruppieren sich insgesamt 179 Wohnungen.

Entlang der unterschiedlich ausgebildeten Geschosse staffeln sich Balkone und Loggien zu einer abwechslungsreichen Fassade. Ihre Materialität und ihre Farbgebung verleihen dem Gebäude seinen besonderen Charakter.

 

Keramikplatten mit Tiefenwirkung

Natürlich wirkende Keramikplatten in warmen Ockertönen entwickeln durch ihre dreidimensionale Struktur eine interessante Tiefenwirkung. Dabei führen feine Rillen in den Platten zu einer Schattenwirkung und einer matten Optik, sodass die Oberfläche besonders lebendig erscheint. Dieser Effekt verstärkt sich noch durch verschiedene Nuancen innerhalb des warmen Farbspektrums der Fassadenplatten. Die profilierte Keramikfassade sorgt neben ihrer spannenden optischen Wirkung zudem für einen hervorragenden Schallschutz.

Produziert wurde die Fassadenbekleidung nach den Plänen des Architekten Martin Kohlbauer mit einer speziellen Oberfläche und einer individuellen Farbgebung in den warmen und natürlich wirkenden Farbtönen Champagner und Bernstein.

Das prestigeträchtige Projekt Korso in Wien entstand in enger Kooperation von Kreativplanung und Bauindustrie, die den besonderen Stil des Gebäudes gemeinsam geprägt haben.

 

Vier moderne Hochhäuser in Lindholmshamnen, Göteborg

Mit vier auffälligen Monolithen mit drei bis 16 Stockwerken haben die Architektin Åsa Askergren und das Architekturbüro White einen weithin sichtbaren neuen Akzent für Lindholmshamnen geschaffen.

Im Stadtentwicklungsgebiet in Göteborg, das ursprünglich zum Industriehafen gehörte, treffen Industrial Design und Ziegelbauten des alten Werftgeländes auf moderne Architektur in klassischen Formen. Durch ihre besondere Farbgebung in Ziegelrot, Grün und Hellgrau fallen die Neubauten mit 133 Wohneinheiten und einem Kindergarten sofort ins Auge. Das variable Erscheinungsbild der Fassade ändert sich je nach Sonneneinstrahlung.

HINWEIS
Die vom FVHF e.V. herausgegebenen Leitlinien können als PDF im Fachportal bestellt werden.
www.fvhf.de

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